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Bild: Franz Ulrich
Ahrweiler "Lebensart"

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Liebenswerte Boshaftigkeiten

 

Der Heimatverein „Alt-Ahrweiler“ hat vor 18 Jahren das erste Bändchen „Kleins gesammelte Boshaftigkeiten“ zum Druck gebracht. Wenige Jahre danach veröffentlichte der Autor ein weiteres Bändchen „Noch mehr Boshaftigkeiten“ im Privatdruck. Der Heimatverein veröffentlicht nun eine zweite, überarbeitete Auflage dieser beiden ersten Bändchen zusammen in einem Büchlein. Die Texte sind als Glossen zu verstehen und sollen dem Leser Freude machen. Da die behandelten historischen Ereignisse meist auf den „Quellen zur Geschichte der Stadt Ahrweiler“ fußen, handelt es sich nicht um Sagen oder erfundene Erzählungen, sondern um Tatsachen. Allerdings hat sich der Autor manchmal eine eigenwillige Interpretation vorbehalten. Vielleicht helfen dies Boshaftigkeiten, Freude und Interesse an der Ahrweiler (und Neuenahrer) Stadtgeschichte zu wecken.

In seinem Vorwort schrieb der Autor: „Als die ersten lästerlichen Geschichten in der Stadtzeitung erschienen, erfuhr der Autor so viel positive Zustimmung, dass sich der Heimatverein Ahrweiler nun entschloss, diese „Beiträge zur Stadtgeschichte" in geeigneter Form noch einmal drucken und binden zu lassen. Das Erfreulichste bei dieser Resonanz war die überwiegende Zustimmung meiner Neuenahrer Mitbürger.

Ich wurde aber fast wankend, als ich vor Wochen der Predigt unseres verehrten Herrn Pastors lauschte, der von der Kanzel herab all denen ins Gewissen zu reden versuchte, die sich auf Kosten der Neuenahrer Mitchristen Scherze erlaubten und somit höchst unchristlichem Geist Zwietracht unter die Christen der Stadt säten, obwohl doch Ahrweiler und Neuenahrer demnächst auf einer Kirchenbank zusammensitzen müssten. Es regte sich bei mir ein klein bisschen das schlechte Gewissen. Dann erinnerte ich mich an meinen Beichtunterricht, wo ich gelernt hatte, dass zur Sünde auch die böse Absicht gehörte. Und ich erinnerte mich an mein Eheleben. Was sich liebt, das neckt sich halt. So einfach ist das. Und dann war da auch noch mein Freund, der Steinborns Köbes. Er wird später noch genauer vorgestellt werden. Der meinte, wenn es die geschichtlich gewachsenen Streitereien zwischen Neuenahr und Ahrweiler nicht gegeben hätte, müssten sie noch erfunden werden. Sie seien nämlich im sonst so frommen Nebeneinander der Neuenahrer und Ahrweiler das Salz in der Suppe.

Dennoch: Drei Mitbürger gab es, die diese Beiträge bitter ernst genommen haben, einer aus Neuenahr und zwei, ich muss es zu unserer Schande gestehen, zwei aus Ahrweiler. Es' ett dann müjelich!

Also, honny soit, qui mal y pense.“

 

Hans-Georg Klein, Ahrweiler Boshaftigkeiten

hrsg. vom Heimatverein „Alt-Ahrweiler“

121 Seiten mit Bildern

Preis: 7,50 Euro

Bezug: Buchhandlung am Ahrtor

 

 

Leseprobe

Märtesdaach in Ahrweiler

 

Also, der Märtesddach in Ahrweiler ist etwas ganz Besonderes. Man sieht es daran, dass Funk und Fernsehen darüber berichten, halb Neuenahr in Ahrweiler weilt, die Stadt proppevoll ist und alle Einheimischen sich wochenlang in gebührender Form über Inhalt und Ablauf aufregen. Der Märtesdaach ist ganz wichtig für unsere Stadt, zählt er doch quasi zu den zwölf Ahrweiler Sakramenten. Ich habe hierüber berichtet.

Also früher, das war in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, auch gute alte Zeit genannt, ging es am Martinsabend etwas rustikaler zu. Es gab schon immer den Kampf zwischen den vier Huten um das schönste Bergfeuer. Dieser Kampf lässt die Geplänkel zwischen Neuenahrer und Ahrweiler wie ein Tennismatch in einem Mädchenpensionat erscheinen. Nach dem Abbrennen der Feuer zogen die Junggesellen und die, die sich dafür hielten, hutenweise unter Mitnahme von Weinbergspfählen und dem Absingen blutrünstiger Lieder durch die Hauptstraßen zum Marktplatz, wo man sich mit diesen Schlaginstrumenten gegenseitig den Scheitel nachzog, es war so, wie sich der Rheinländer eine richtige bayerische Kirchweih vorstellt. Die Hooligans waren los. Es war so schlimm und der Sanitätsrat musste so oft eingreifen, dass beson­nene Männer unter Anleitung des damaligen Rektors Strauck einen Martinsausschuss gründeten, um die Auswüchse zu kanalisieren und zu zivilisieren. Man lobte Preise aus, band die Junggesellen in das Martingeschehen mehr ein und hoffte auf Frieden.
Wir hoffen heute immer noch und geben die Hoffnung nicht auf.

 

Der Beginn der Martinszeit wird durch vier wichtige Dinge gekennzeichnet: Die Schanzemännche beginnen mit ihrer Arbeit, der Martinsausschuss tagt, der Bürgermeister beauftragt den Rektor der Aloisiusschule mit der ordnungsgemäßen Durchführung des Martinsumzuges und der Professor bestellt rechtzeitig den Pokal für den besten Knollekopp. Ist dann der Märtesdaach gekommen, stehen zeitig die Mitglieder der Bewertungskommission auf dem Kanonenturm. Diese sieben Blinden, wie ein stadtbekannter Redakteur, der nicht genannt werden möchte, einmal schrieb, haben die unlösbare Aufgabe, die vier Bergfeuer und Schaubilder gerecht und zur Zufriedenheit aller zu bewerten. Dabei vergessen diese Blinden nur zu oft, dass die Ahrhöde doch die Schaubilder erfunden haben und ihnen demgemäß der erste Preis zusteht. Jedesmal, wenn die Ahrhöde den zweiten Preis erhalten, fühlen sie sich hintergangen, drohen, ganz bestimmt vielleicht das nächste Mal nicht mehr mitzumachen. Oder verwechsele ich das mit den Addemichshöde? Übrigens, das ist Ironie des Schicksals, gehört jener Redakteur jetzt auch zu den Blinden und zieht sich Jahr für Jahr den geballten Unmut der Ahrhöde zu. Es´ ett dann müjelich?

 

Da der Rektor vom Bürgermeister wie gesagt mit der ordnungsgemäßen Durchführung des Märteszuges beauftragt ist, tagen im Vorfeld die entsprechenden Gremien, wohl wissend, dass sich am chaotischen Ablauf doch nichts ändern wird. Lehrerkonferenz, Elternbeirat und Martinsausschuss beraten intensiv, um ein Konzept zu erarbeiten, den Martinsumzug in würdiger Form durchzuführen und vor allem den wichtigsten Personen, den Grundschulkindern, während des Zuges Geborgenheit und Sicherheit zu vermitteln.

 

Also, direkt hinter dem hl. Mann und dem Ahrweiler Spielmannszug kommen die Schulkinder der Aloisiusschule wohlgeordnet nach Klassenstufen und Klassen, geleitet von ihren Lehrerinnen. Damit die Zuschauer auch sehen, wer zusammengehört, haben die einzelnen Klassen Motivfackel gebastelt. Nach den Grundschülern, so sieht es der Plan vor, kommen die Schüler der weiterführenden Schüler, dann die Huten und dann am Ende Eltern mit Kleinkindern. Dieser Plan wird hoffnungsvoll in der Presse veröffentlicht, und die Ahrweiler Bevölkerung zur Rücksichtnahme und Einhaltung aufgerufen. Dabei geht der Martinsausschuss von der Annahme aus, dass die meisten Erwachsenen lesen können und dazu auch noch einsichtig sind.

 

Damit die vorgegebene Zugordnung auch eine Chance hat, stellen sich die Schulkinder schon auf dem Schulhof auf und es gelingt tatsächlich, ohne von Erwachsenen gestört zu werden, über die Römer- und Wilhelmstraße bis an das Niedertor zu gelangen. Hinter dem Niedertor beginnt das Chaos. Dichtgedrängt stehen die Menschen und lassen dem Zug kaum eine Gasse. Kurz vor Bells stößt Kniepse Apollonia wild entschlossen mit ihrem Kinderwagen zwischen die Schüler der 2a und sprengt den Klassenverband. Da kann sich die Frau Tumbrink noch so sehr wehren. Die Hälfte der Klasse ist für sie verloren. Unterstützt wird "dat" Apollonia durch ihren Ehemann, der Karlchens Fackel trägt, denn Karlchen kann das noch nicht. Er ist erst vier Wochen alt und steht dem ganzen Spektakel ziemlich teilnahmslos gegenüber. Aber das resolute Ehepaar wird von Oma und Opa mütterlicherseits unterstützt. Auch Tante Elfriede aus Elberfeld ist mit von der Partie und drückt couragiert die im Weg stehenden Zweitklässler zur Seite. "Dat ist aber eine schöne Ordnung hier in Ahrweiler", schreit sie ihrem Schwager Egon ins Ohr, "so etwas wäre in Elberfeld nicht denkbar. Da würden schon die Lehrpersonen für sorgen". Also, die Tante soll sich da nur raushalten, denn die ist evangelisch und dazu noch angeheiratete. Der Zuzug der Kinderwagen innerhalb der Klassenverbände nimmt in bedrohlicher Weise zu. Inzwischen erreicht der Martinszug den Marktplatz. Immer neue strömen herbei. Der Willi marschiert, wie so viele andere, ohne eigene Kinder, aber sonst mit seinem ganzen Anhang in den Zug und wundert sich, dass die Schulklassen oder das, was von ihnen übrig geblieben ist, nicht mitsingen. Der Willi steht mit seiner Großfamilie mitten in einem ersten Schuljahr. An jeder Ecke bleibt er stehen und hält den Zug auf, denn er muss allen seinen Bekannten, deren er viele in Ahrweiler hat, stolz seinen Schwiegersohn präsentieren, der ist nämlich irgendwo im Süddeutschen Landrat. Der Willi hat zudem auch die Oma Fine aus dem Altenheim holen lassen. Die wird nun vom Neffen Gerd im Rollstuhl mit im Zug geschoben. "Nä, nä", murmelt Oma Fine, "dat isch dat noch erlewwe kann, noch einmol mett em Winzerzuch ze jinn. Schad nur, dat die Sonn nett scheint." Der Gerd, der sie schiebt, ist als abgebrochener Student in Hannover hängengeblieben. Seit er gelesen hat, dass im nächsten Jahrtausend das Trinkwasser knapp werden soll, wäscht er sich nicht mehr und nach längerem Diskurs mit sich selbst hat er auch das Zähneputzen eingestellt. Aber den Ahrweiler Märteszuch lässt er sich nehmen. Der ist ein Stück seiner Lebensqualität. Im Übrigen stört ihn auch das Durcheinander nicht, denn er ist von den Chaostagen Stärkeres gewohnt.

Ach, wat isset widde schön!

 

Als die Feuerwehr am Ende an Stockerts die Weckmänner austeilt, zähle ich mehr Willis und Apollonias als Kinder im Zug. Der Rektor hat 1400 Wecken für die Grundschulkinder bestellt, daran sieht man, wie groß die Aloisiusschule sein muss. Und dann kommt der feierlichste Augenblick. Über dem Marktplatz hoch vom Balkon der Volksbank werden die Preise für das schönste Feuer und das eindrucksvollste Schaubild verteilt. Lautstark lauschen die Junggesellen der Rede der Vorsitzenden des Martinsausschusses. Als dann die Oberhut den ersten Preis für das schönste Feuer und die Niederhut den für das originellste Schaubild erhält, klatschen alle Zuhörer, auch die Junggesellen, gemeinsam Beifall. Aber irgendwie muss ich da etwas verwechselt haben.

 

"Nein", höre ich meine Nachbarin raunzen, die Lehrerin in Neuenahr ist und deshalb einen anderes Verständnis hat, "nein, so ein Betrug, und überhaupt, diese Unordnung. Ich werde morgen einen Leserbrief schreiben. Und ganz bestimmt vielleicht nie mehr mit dem Ahrweiler Märteszug gehen."

"Also, wissen Sie", klagt auch Frau Tumbrink, die verzweifelt wie eine Henne um ihre Kücklein um ihre Kinder gekämpft hat, "wissen Sie, im nächsten Jahr müssen wir das ganz bestimmt vielleicht völlig anders machen. Das muss besser geplant werden, so wie in Neuenahr, oder?"

 

Einzelne Gruppen Junggesellen ziehen maulend und schimpfend an mir vorüber, mit Ausdrücken, die nicht druckreif sind. Das können aber nur Zugezogene sein, keine Ahrweiler, ganz bestimmt nicht. "Zwei Monate umsonst geschafft. Nur den zweiten Platz. Alles Schiebung. Also im nächsten Jahr machen wird ganz bestimmt vielleicht..." Die letzten Worte verwehen im Wind.

 

Die Ahrweiler Gaststätten sind bis auf den letzten Platz gefüllt. Wer nicht vorbestellt hat, bleibt vor der Tür. Die Restaurateure machen ein so gutes Geschäft, dass sie sich entschlossen haben, dem Martinsausschuss eine Spende als Unkostenbeitrag für die Schaubilder zu stiften. Auch das soll es geben. Die ersten Busse mit Zuschauern rollen heimwärts, am nächsten Abend kommen im dritten Programm eindrucksvolle Bilder vom Ahrweiler Martinsbrauchtum und im folgenden Stadtblättchen bekommen wir in Leserbriefen mitgeteilt, wie schlimm und unmöglich doch alles war. Die genannten Gremien tagen wiederum, gehen in sich und ziehen das Fazit.

 

 "So kann es nicht bleiben. Alles muss besser werden." Nicht einmal Ulrichs Franz ist zufrieden, und das will schon etwas heißen.

 

Es ist wie jedes mal.

Isset net schön?

Ich freue mich schon jetzt auf das nächste Jahr.

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Stand: 28.10.15

 

Design: Reiner Bauer